Kharim der Falke

Du wolltest den Duft der Erde atmen. Eine verwurzelte Seele sein. Eine Seele mit starker Anbindung ans Sein. Deine Flüge sollte sie erschweren, damit du Erde und Schwere fühlen kannst. Der Horus wollte auf der Erde schreiten. Was passt dir daran nicht?

Die Flügel sind jetzt lahm. Manchmal stelle ich mir vor, sie auszubreiten. Ein kleiner Windhauch hat genügt, sich in die Lüfte zu erheben. Die Federn tanzten mit dem Wind. Sie stritten sich regelrecht um den nächsten Tanz. Trunken vor Freude schwebte ich dahin. Wissend, auf meine Federn ist Verlass. Sie tragen mich. Sie lenken mich. Sie nähren mich und sie bringen mich zum Lachen. Jetzt sind sogar meine Ellenbogen steif. Das Durchstrecken fällt schwer. Dehne sie. Schau, ob sie noch elastisch sind, deine Federn. Entferne den Staub von ihnen. Streichle sie. Fahre mit dem Schnabel zwischen ihnen entlang und durchblute sie. Lüfte das alte verstaubte Federnbett. Du brauchst kein Bett. Du brauchst den Himmel. Der Himmel braucht dich. Kharim. War das dein Name? Kharim, der Falke. Ein Freund. Die Haube stolz tragend. Den Kopf in Vorfreude hin- und herzuckend. Was wird sein, wenn ich die Haube entferne? Das Übliche. Der Instinkt – der göttliche Instinkt – wird dich lenken. Du wirst dein Ziel gleich wahrnehmen und dich in die Luft erheben. Leicht und siegessicher. Zielsicher. Ohne nachzudenken. Das ist deine Natur. Das ist deine Aufgabe. Das ist deine Bestimmung. Siehst du jetzt die Wüste unter dir. Von oben sieht sie leer und unbewohnbar aus. Je tiefer du fliegst umso mehr Details erkennst du. Mal einen Spalt zwischen zwei Sandkörnern. Mal ein grünes Blatt, das sich ans Licht kämpft. Kleinste Bewohner des Sandes. Sie krabbeln. Sie winden sich. Sie hüpfen. Kannst du in den Sand eintauchen? Ja. Wie in Wasser. Es fühlt sich rau an. Jedoch befreien mich die einzelnen Sandkörner von etwas Schwerem. Sie schleifen meine Kruste ab. Es fühlt sich schon leichter an. Und jetzt tauche ich durch den Sand in den Himmel. Die Landschaft ändert sich. Unter mir ist üppige Vegetation. Bunte Farben. Der schönste Himmel. Blau mit weißen Wölkchen. Ich sehe einen Fluss oder einen Bach. Es ist angenehm kühl. Nicht zu kühl, aber auch nicht zu warm. Ich bin angekommen im gelobten Land. Und doch fühle ich, dass ich nicht erfreut bin. Eine Wehmut steckt noch fest. Der Sand! Es ist der Sand, die Wärme und die Farbe der Wüste, die mir fehlen. Die Bilder überschneiden sich jetzt. Sand und üppige Vegetation wechseln sich ab. Ein Abbild meiner Seele und meiner Sehnsüchte. Ein Kampf? Ein Streit? Nein! Einfach das Bewusstsein, beides zu lieben und beides haben zu wollen. Oder haben zu können. Ja, haben zu können.