Ein Pharao erzählt

 

„Ich besaß einst viel. Die Welt lag mir zu Füßen. Auf einer Art und Weise, die ich so nicht wollte. Was habe ich davon, wenn mich die Menschen fürchten. Lieben sollten sie mich. Hineingeboren in diese Macht macht blind. Alles ist normal so wie es ist. Keine Reflexion über andere Leben. Kein Gedanke daran verschwendet, wie sich all diese Sklaven fühlen, wenn sie mir dienen. Jedoch – so meine ich – spürten sie, dass ich anders war als meine Väter. Der Keim einer neuen Generation steckte in mir. Der Keim der Selbstreflexion und der Güte. Der Beginn der Liebe und des größeren Verständnisses aller Zusammenhänge.

Doch war ich gefangen im System. Die Priester, die beamteten Schreiber. Alle steckten im System und wurden davon genährt. Die Angst, täglich seinen Kopf zu riskieren, nahmen sie auf sich. Galt es doch, ihre ganze Sippe zu ernähren. Und das konnten sie - bei Gott - mit diesem Salär. Sie dienten meiner Bequemlichkeit und nährten dadurch meine Launen. Die Unzufriedenheit mit meinem Leben, die in mir steckte, gepaart mit Launenhaftigkeit, war manchmal eine gefährliche Mischung. Jähzorn war nicht selten die Ursache einer meiner emotionalen Vulkanausbrüche. Diese Unberechenbarkeit machte meine Diener sich beugend und ständig verbeugend, wenn sie mich sahen. Mein Innerstes wusste, dass da etwas nicht stimmte, dass es so nicht rechtens war. Doch was sollte ich tun? Ein Pharao hat Grenzen. Die seiner Herkunft und die seiner Loyalität seiner Familie gegenüber. Etwas zu tun, was den Fortbestand des ganzen Clans zur Folgen haben konnte, war selbst für einen Herrscher wie mich, gefährlich und nahezu undurchführbar. Ein Freitod wäre noch das Bequemste. Die ersten, die wie Hyänen über mich herfallen würden, wären die Priester. Ich habe ihr Spielchen durchschaut, lasse sie aber gewähren, damit sie glauben, ich unterstütze sie. In Wirklichkeit plane ich, sie alle aus meinem Tempel zu werfen. Diese gottlosen Gierhälse, die ihre Schlünde mit armen Seelen vollstopfen, damit sie ihre stolzen Köpfe arrogant und selbstverliebt durch die Gänge meines Heiligtums tragen. Es schmerzt mich jedes Mal, wenn ich sie so barfuß entlangwandeln sehe, wie sie meine Wege entehren. Ich möchte bald nicht mehr diese Gänge benutzen, weil ich sie bei jedem Schritt, den ich mache, noch spüre. Sie ekeln mich an. Ihre geschminkten Gesichter, ihre kahlgeschorenen Köpfe. Ihre Togen, ihre Schritte, ihre geheuchelte Religiosität. Sie flüstern mir mit ihren giftigen Zungen Dieses oder Jenes zu. Immer auf ihren Vorteil bedacht. Giftschlangen. Skorpione. Ich muss vorsichtig sein. Unser aller Existenz steht auf dem Spiel. Wer sind meine Verbündeten? Meine Familie steckt in den alten Traditionen fest. Meine Mutter dürfte etwas gespürt haben. Sie wäre die Einzige, der ich mich öffnen könnte. Und sonst? – hatte ich nur meine Tiere. Andere, als du sie jemals hattest. Zwei zu erwähnen ist mir wichtig - ein Falke und ein Leopard. Beide waren wichtig für meine Entwicklung als Mensch und nicht als König. Sie lehrten mich alles über die Grundlagen des Lebens und die Bausteine des Seins. Ja, Tiere lehrten mich ein Besseres als Menschen. Sie liebten mich bedingungslos, obwohl ich sie gezähmt hatte. Über die Methode möchte ich mich nicht auslassen. Zu sehr schäme ich mich dafür. Ich entschuldigte mich bei Ihnen von Jahr zu Jahr mehr, in dem meine Liebe zu ihnen wuchs und ich ihnen ebenfalls bedingungslos vertraute. Ich verbrachte viel Zeit mit ihnen. Mehr als mit Menschen. Ich wechselte zwischen den Welten und es wurde immer mühsamer für mich, in die Menschenwelt zu wechseln mit all dem künstlich Erschaffenem. Wieso konnte ich hier nicht genauso sein, wie bei Kharim dem Falken. Es musste schon jeder spüren, dass mit mir etwas nicht stimmte. Meine Unterschrift bedurfte oft langer Zeit und alles hinterfragte und überlegte ich ewig. Hielt meine Beamten hin. Hoffte, in diesem oder jenem Augenpaar einen Verbündeten zu erkennen. Ein schwieriges Unterfangen. Hatte ich sie doch auch selbst zu dem gemacht, was sie waren. Ängstliche Menschen. Seelenlose Diener. Marionetten im Spiel der Macht. Aller Illusionen beraubt, habe ich ihnen nur das leibliche Überleben gesichert. Ich möchte jetzt jedoch, dass sie mich wahrlich lieben. Wie sollten sie das können, wenn ich mich nicht vorbehaltlos ihnen öffne. Selbst auf die Gefahr hin, dafür mein Leben hinzugeben. Mein Innerstes sagt mir,  sie würden mich bejubeln und mich auf Händen tragend durch die Stadt tanzen. Wäre dieses Volk in seiner Gesamtheit nicht stärker als die Priesterschaft? Ein Leichtes wäre es, sie zu überwältigen und aus der Stadt zu jagen. Wer wäre bei diesem Unterfangen dabei? Vielleicht doch nicht so viele, weil sie die Gottheit fürchten. So wie sie mich fürchten.


So verlässt mich wieder der Mut, das Leben zu ändern. Mein Leben zu ändern. Der Mut verlässt mich. Die Bequemlichkeit und das In-Mein-Schicksal-Ergeben übernehmen wieder das Ruder und ich gehe zurück in meinen Tempel, um mein Reich zu regieren. Sie wie es schon die Väter meiner Väter getan haben.“