Kharim, meine Stütze (4)

Als ich aufwache, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Ich spüre den harten sandigen Boden unter mir. Kharim hüpft ungeduldig herum. Weit kommt er nicht. Er ist ja angekettet. Zu seiner Sicherheit. Zumindest rede ich mir das ein.

Sein linkes Bein ist an meinem linken Arm gekettet. Wenn ich schlafe, habe ich manchmal Angst, dass jemand Kharim das Bein abschneidet und ihn dann mitnimmt. Aber sollte ich wegen dem bisschen Angst von Zeit zu Zeit riskieren, dass ich ihn verliere?
Da opfere ich lieber sein Bein. Mein Egoismus ist sein Kerker. Meine Angst sein Risiko. Wieso habe ich keine Angst, dass jemand MEINEN Arm abschneidet?
Denke ich, dass das nur ihm passieren kann. Stufe ich mein Leben als wertvoller ein als seins? Nein, praktisch betrachtet ist es einfacher, ein dünnes Vogelbein zu durchtrennen. Ich verdränge den schrecklichen Gedanken, stehe auf und klopfe mir den Staub von der Kleidung. Kharim nimmt seinen angestammten Platz auf mir ein. Seine Haube setzt ich ihm nicht auf. Wenn er bei mir ist, schweift sein Blick selten ab. Außerdem sehe ich gerne in seine klaren Augen. Seine Augen sind so klar wie ein Gebirgsbach, der frisch und fröhlich vor sich hingurgelt auf seinem Weg zum Ziel. Das Ziel, sich mit etwas größerem zu verbinden und damit zu verschmelzen.

Das Fest hatte lange gedauert. Und Alkohol floss in Strömen. Mein Blechbecher liegt auch noch auf dem Boden. Ich hebe ihn auf. Es schwappt noch eine klare Flüssigkeit im Boden des Bechers. Ich schaue in den Becher und blicke gleichzeitig in eine andere Welt. Der Becher als Zauberkugel, in der sich in der klaren Flüssigkeit ein Portal öffnet.
Ich tauche sogleich in eine andere Welt ab. Wie ein Sog zieht es mich Richtung Becherboden, der jetzt in einen hellblauen Himmel übergeht. Es zieht mich ... es zieht mich ...


Ich spüre, dass ich schon einmal dort war. Ich habe keine Angst. Es ist ein vertrautes Gefühl. Ein warmes Gefühl. Ich komme an. Dort, wo ich immer schon anzukommen hoffte ...